Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), eine einflussreiche Lobbyorganisation, die die Interessen der großen Konzerne der deutschen Wirtschaft vertritt, hat eine neue Kampagne gestartet: „Klimaschutz“
Diesmal ist sie klar gegen die erfolgreichen jugendlichen Klimaproteste gerichtet, um sie einzufangen und so zu schwächen, dass sie die großen Geschäfte des fossilen/atomaren Wirtschaftsgefüges nicht ernsthaft gefährden können. Im Rahmen von Themenkampagnen übernimmt die Initiative neue soziale Marktwirtschaft Begriffe der Gegenseite („sozial“, „Gerechtigkeit“, „Energiewende“, „Klimaschutz“), und sorgt dafür, eine neue Assoziation zu den Begriffen in ihrem Sinn herbeizuführen. Beim Thema Klimaschutz heißt das: 2°C Ziel statt 1,5°C Ziel, Ausbremsen schneller, massiver Klimaschutzmaßnahmen für die Industrie, Verhindern einer CO2-Abgabe, Erdgas-Offensive, Emissionshandel statt schnellem Kohleausstieg.
INSM-Themenkampagnen werden umgesetzt durch dauerhaftes, intransparentes, flächendeckendes Platzieren und Erzeugen von Schlagzeilen in Print, TV, Funk und Internet über einen langen Zeitraum. Ergänzt wird dies durch Anzeigen- und Plakatkampagnen. Die Interessenorganisation der großen Konzerne stellt sich nach außen so dar, dass sie unbedingt Klimaschutz, Energiewende, soziale Gerechtigkeit etc. will, bewirkt mit ihren Vorschlägen aber immer genau das Gegenteil das, was der jeweilige Begriff ihrer Themenkampagne ist.
Die Initiative neue soziale Marktwirtschaft ist die Tochtergesellschaft des Instituts der deutsche Wirtschaft (IW) Köln, was wiederum von den beiden Industrieverbänden BDI und BDA finanziert und kontrolliert wird.
Zur Erinnerung:
Die INSM war erfolgreich beteiligt, die politischen Beschlüsse zur Agenda 2010 oder Einführung der privaten Altersvorsorge vorzubereiten und hat federführend 2012 die Kampagne gegen die Erneuerbaren Energien entworfen und geleitet, die dann zu dem massiven Einbruch im Ausbau aller Erneuerbaren Energien in Deutschland und in der EU führte. Ihr Auftrag war, die Interessen der fossilen Wirtschaft gegen die schnell wachsende Konkurrenz der Erneuerbaren Energien und vor allem der Bürgerenergien zu schützen. 2017 hatte ich in einer 5-teiligen Serie Details zu den Methoden und Taktiken der INSM in der Anti-EEG Kampagne aufgezeigt.
Nun zeigt sich auf der Internetseite der INSM der erste Schritt der neuen Antiklimaschutzkampagne. In 12 „Fakten“ ist schön verpackt, dass der Klimaschutz natürlich notwendig ist und in denen auch das 2°C Ziel anerkannt wird. Kein Wort dazu, dass der Weltklimarat und viele andere Klimaforscher längst davor gewarnt haben, dass eine Erderwärmung um 2°C unerträgliche Folgen für große Teile der Weltgemeinschaft verursachen wird.
Die Interessen der Industrie werden in den „Fakten“ schön verbreitet, so gilt die Industrie plötzlich als bester Klimaschützer, die Verfehlung der schon ohnehin völlig unzulänglichen, deutschen Klimaziele wird bagatellisiert, die Erneuerbaren Energien wie immer als zu teuer und der Atomausstieg aus Klimaschutzgründen als verfehlt dargestellt. Natürlich wird der Emissionshandel in den Vordergrund geschoben, so wie von der fossilen Industrie in den letzten 30 Jahren auch schon, obwohl der Emissionshandel völlig versagt hat, einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Alles für den Laien gut in blendende Zahlen verpackt, so dass diese Argumentation wie immer ihre Wirkung nicht verfehlen wird und die verantwortungslose Antiklimaschutzpolitik von Minister Altmaier und Co. stützen wird.
Diesem Aufschlag mit den 12 Fakten zum Klimaschutz auf der Internetseite werden umfassende Maßnahmen folgen, um der Gesellschaft einzuhämmern, wie Klimaschutz (aus Sicht der klimazerstörenden Industrie, die sich nicht ändern will) zu machen sei. So wird dann der mediale Boden bereitet, damit Union und SPD es in Berlin leicht haben, die jugendlichen Proteste abzuwehren, weiter keinen Klimaschutz zu machen und am Besten die Fridays for Future Bewegung so einzubinden, dass sie geschickt marginalisiert wird.
Tina Ternus, Unterstützerin von Lobbycontrol, die schon in akribischer Kleinarbeit und intensiver Recherchearbeit die ungeheuerlichen Methoden der INSM 2012 aufdeckte, hat geschildert, wie sich die INSM-Kampagne aus ihrer Erfahrung wohl weiter entwickeln wird.
Lesen Sie den Warnruf von Tina Ternus und wie sie mit ihrer langen detailreichen Erfahrung eine mögliche weitere Entwicklung der neuen Antiklimaschutzkampagne der INSM einschätzt. Ihre Einschätzung folgt aus der genauen Beobachtung mehrerer zurückliegender INSM-Kampagnen:
PHASE 1 (findet schon statt): Betonen des gewünschten Dialogs, Inhalte der Gegenseite werden noch weitgehend neutral wiedergeben und ausgesuchte Personen (z.B. Luisa Neubauer) zunächst noch mit eingebunden, gleichzeitiges Säen erster Zweifel plus am Rande das Diskreditieren ausgesuchter Akteure (Rezo und YouTuber). Ängste schüren in der Bevölkerung bspw. über explodierende Kosten (in der BILD mit gleichzeitiger Abstimmungsmöglichkeit).
PHASE 2: Langsam die öffentliche Meinung Stück für Stück in die eigene Richtung drehen: Zweifel verstärken über „prominente Köpfe“ der INSM und den Wirtschaftsrat der CDU. Dafür sorgen, dass mehr und mehr nur noch Argumente und Vorschläge der INSM medial aufgegriffen werden. Empörung schüren über explodierende Benzinpreise und Bezahlbarkeit. Artikel wie: „10 Gründe gegen eine CO2 Abgabe“, „die 12 Irrtümer der Jugend“, „Warum eine CO2-Abgabe, schnelle Energiewende & Elektromobilität scheitern wird“ mehren sich. Expertenrunden und aggressiver werdende Hetze („10 Mythen der Klimajünger“) platzieren den INSM-Standpunkt („Augenmaß“ beim Klimaschutz zum Schutz der betroffenen Industrie) als alleinige Wahrheit. Vorstellen der INSM-Agenda für Klimaschutz durch wirtschaftsnahe Professoren. Ggf. kommt auch wieder Atomenergie ins Spiel, Hans Werner Sinn als „prominenter Kopf“ der INSM argumentiert bereits in diese Richtung.
PHASE 3: Über einen Zeitraum von 2-4 Wochen zeitlich versetzt geschaltete INSM-Anzeigenmotive mit griffigen Slogans und bunten Bildchen in FAZ, WELT, Handelsblatt, WiWo, aber auch Süddeutsche, begleitet von Artikeln in den jeweiligen Printmedien, die die Inhalte der Anzeigenmotive wiedergeben. Tagungen und Veranstaltungen der INSM in Kooperation mit Handelsblatt, WELT o. WiWo, evtl. Plakataktion an Bahnhöfen und Bushaltestellen.
PHASE 4: Fast täglich gibt es neue Experten der Wirtschaftsinstitute, die die „12 INSM-Fakten“ deckungsgleich wiedergeben, auf die INSM-Agenda drängen und je eine Schlagzeile generieren. Es ballert Studien und Meinungsumfragen, der Ton wird aggressiver („emotional gesteuerte Klima-Hysterie“), Hetze gegen Akteure für CO2-Abgabe oder Energiewendler. Die Kids selbst werden wahrscheinlich nicht so aggressiv angegangen werden (Welpenschutz), aber kleingeredet, jovial belächelt, nicht ernst genommen werden. Gleichzeitig intensive Bemühungen der INSM, den ausgesuchten Politikern von CDU, SPD, FDP, (evtl. auch ausgesuchte GRÜNE?) den INSM-Lösungsvorschlag als Gesetzesvorlage schmackhaft zu machen.
PHASE 5: Experten, Studien, Meinungsumfragen in Print, TV, Talkshows nehmen inflationäre Ausmaße an, aggressives Bashing der Gegenseite, Wirtschaftsrat der CDU mit Vizepräsident Friedrich Merz stellt klare Forderungen, Formulierung Papiere, wie eine (Ausbrems-)Agenda 2030 des nächsten Jahrzehnts zum Klimaschutz aussehen kann.
PHASE 6: Die von der INSM eingebundenen Politiker von CDU, SPD, FDP (ggf. auch vereinzelte Grüne?) überzeugen weitere Parteikollegen.
PHASE 7: Wirtschaftsminister Altmaier bzw. das Kabinett formuliert ein Gesetz zur Klima-Agenda 2030, das zu über 90% den INSM-Forderungen bzw. denen der von Klimaschutzmaßnahmen besonders betroffenen Industrien entspricht.
PHASE 8: Trotz Protesten in der Bevölkerung, Debatten in Bundestag und Bundesrat wird der Kabinettsvorschlag mit nur leichten Veränderungen von der GroKo abgenickt.
Was ist zu tun, um die Macht der INSM-Kampagnen zu brechen?
- Es muss transparent und öffentlichkeitswirksam offengelegt werden, welche Akteure und, damit verbunden, welche Interessen hinter der INSM stecken. Die gezielte Kampagne gegen schnellen und wirksamen Klimaschutz muss als solche wahrgenommen und kritisch beobachtet werden.
- Die deutsche Medienlandschaft muss sich differenzierter gegenüber solchen politischen Kampagnen positionieren und nicht, wie so oft, unhinterfragt wiedergeben, was Industrieverbände und die INSM ihr vorlegt.
- Alle, die für echten und schnellen Klimaschutz kämpfen und wissen, dass dies nicht nur absolut dringend und notwendig, sondern auch technologisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, müssen genau diese Botschaften weiterhin in die öffentliche und politische Debatte einbringen.
- Es muss endlich eine Aufklärungskampagne der Regierung für die wirklichen Klimaschutzmaßnahmen geben: 100% Erneuerbare Energien, 100% Biolandwirtschaft u.v.m.
Leider hat die Gesellschaft dabei bisher versagt, der INSM-Kampagne und damit den fossil/atomaren Wirtschaftsinteressen etwas entgegen zu setzen. Es wird Zeit, dass alle aktiv werden und nicht nur auf das Durchhaltevermögen von Fridays for Future hoffen. Diese alleine werden es nicht schaffen, den geballten, geldschweren Antiklimaschutzkampagnen der fossilen/atomaren Wirtschaft erfolgreich Widerstand zu leisten.
Hammelburg, 15. Juli 2019
Ihr Hans-Josef Fell